Rezension: Grundrechte-Report 2014

Muss sich der Rechtsstaat bald einen anderen Namen suchen?

Geheime völkerrechtliche Verträge, Zugriff von 250 Behörden auf sieben Millionen private Daten, strafrechtliche Ermittlungen gegen 947 von 1000 Demonstranten, manipulierte Beweismittel… Nein, diese Fakten entstammen weder einem Geschichtsbuch über die Stalin-Ära noch aus einem Bericht darüber, wie viele das Nordkorea der Gegenwart vermuten. Sie sind vielmehr dem „Grundrechte-Report 2014“ entnommen, dem von den Herausgebern selbst so bezeichneten „alternativen Verfassungsschutzbericht“, der dieses Jahr zum 18. Mal erschienen ist.

42 Autoren berichten über Verfassungsverletzungen durch die deutsche Staatsgewalt. Systematisch sortiert, beginnend bei Art. 2 Abs. 1 GG und endend bei Art. 104 GG, wo Freiheitsentziehungen ohne gesetzliche Grundlage festgestellt werden, gibt das lesenswerte Buch einen Einblick in die Verfassungspraxis. Den Verfassungsrechtler, wenn er nicht schon damit rechnete, lassen diese Berichte erschaudern. Und wenn der Rechtsanwalt und Autor Martin Heiming die in der Überschrift gestellte Frage aufwirft, dann ist sie berechtigt. Zu unaufhaltsam scheint die Entwicklung, bei der in einer entpolitisierten Gesellschaft die Grundrechte keine öffentliche Rolle mehr zu spielen scheinen.

Über 50 Organisationen, die im Anhang zum Grundrechte-Report aufgeführt sind, stemmen sich gegen diese Entwicklung. Manche von ihnen durchaus auch mit einem gewissen Alt-68er-Verschrobenheitspotential, aber sicher alle mit dem ehrlichen Anliegen, den Grundrechten Geltung und Gehör zu verschaffen und staatliche Missstände aufzuzeigen.

Und genau hier beginnt die Bedeutung des Buches und der Organisationen für die juristische Ausbildung: Was wäre es doch ein Schönes, wenn man anhand der Beispiele des Grundrechte-Reports an den juristischen Fakultäten Verfassungsrecht lehren würde oder sich die herausgebenden Organisationen den Studierenden der Rechtswissenschaft intensiv und medial wirksam zuwenden würden? Doch es scheint Stille zu herrschen. Professoren der Rechtswissenschaft findet man auf der Autorenliste des Grundrechte-Reports kaum.

Gleichwohl oder gerade deshalb sollte der oder die Studierende der Rechtswissenschaft den Grundrechte-Report zur Hand nehmen, gerne auch schon als Anfangssemester. Fällt die Lektüre des Buches auf den fruchtbaren Boden eines Gerechtigkeitsgefühls, dann leistet es einen wichtigen Beitrag für eine Verfassungswirklichkeit, in der die Grundrechte nicht nur im Regal stehen. Doch um dies zu erreichen, müssen die Herausgeber mehr wahrnehmbare PR-Arbeit leisten als die Pressekonferenz am Erscheinungstag.

Infos:

Müller-Heidelberg/Steven/Pelzer/Heiming/Fechner/Gössner/Engelfried/Rotino (Hg.)
Grundrechte-Report 2014
Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland
Fischer Taschenbuch 2014
ISBN 978-3-596-03018-7

Dr. Jan-Dirk Rausch

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