Mit der Digitalisierung steigt auch die Anzahl an Möglichkeiten, auf „moderne“ Art zu lernen und sich mit neuen Mitteln auf die juristischen Examina vorzubereiten. Lecturio ist einer der ersten Anbieter, die ein komplettes Repetitorium abgefilmt und in Form einzelner Videos gegen Entgelt seinen Nutzern zur Verfügung stellt. Die nachfolgende Rezension bezieht sich nach vielen Teststunden im Rahmen einer echten Examensvorbereitung auf das komplette Video-Repetitorium mit dem Stoff für das zweite Staatsexamen. Dabei wurden die Videos aller drei großen Fachgebiete Zivilrecht, Öffentliches Recht und Strafrecht ausgiebig getestet.
Die Technik
Die Zeiten, in denen Webvideos aufgrund schlechter Internetverbindung nicht vollständig laden oder immer wieder ein Buffering-Ruckeln nervt, sind vorbei. Die Testbedingungen waren vielfältig: Leistungsstarker Desktop-PC (mit einfacher Grafikkarte), leistungsschwacher Laptop, iPhone 4S und 6S per App. Jeweils allerdings mit 50 Mbits-Bandbreite. Besucht man die jeweilige Unterseite des einzelnen Vortrags, kann es am Laptop einige Sekunden dauern, bis das Video vorgeladen hat. Ist aber nicht weiter störend. Für das Smartphone gibt es eine Lecturio-App, die sowohl im iTunes-Store als auch im Android-Äquivalent kostenlos zum Download bereitsteht. Nur bei guter 3G-Verbindung laufen die nicht im Voraus über WLAN heruntergeladenen Videos einigermaßen flüssig, belasten aber das Datenvolumen des Mobilfunkanbieters. Die beste Vorgehensweise: Im Voraus einzelne Videos downloaden (diese werden dann kenntlich gemacht) und unterwegs anschauen. Das Display des iPhone 6S reicht einigermaßen aus, um neben dem Dozenten die Folien zu lesen. Ideal ist es nicht, aber durch den Ton dennoch eine gute Möglichkeit, unterwegs zu lernen. Ein Video hat zwischen 100 und einigen hundert Megabyte Volumen. Auch beim Autofahren, währenddessen natürlich der Bildschirm unbeobachtet bleibt, sorgt der Ton für einen Lerneffekt, geschmälert jedoch durch die fehlenden Gesetzestexte, die man parallel unbedingt aufgeschlagen haben sollte, um die vielen erwähnten Normen nachschlagen zu können.
Die Kursinhalte
Der Kursraum ist immer derselbe. Ort: Frankfurt am Main. Repetitorium von Dr. John Montag. Besprochen werden die Inhalte aus allen drei Fächern Zivilrecht, Öffentliches Recht und Strafrecht. Der Eindruck war, dass die Kursinhalte, die schließlich aus einem seit vielen Jahren etablierten ortsansässigen Repetitorium stammen, ausreichend sind, um sich einen guten Überblick über die Anforderungen an das zweite Staatsexamen zu verschaffen. Ergänzend wird einiges an Literatur empfohlen, die teilweise auch direkt auf der jeweiligen Kapitel-Unterseite zum Download angeboten wird. Der Zivilrechts-Repetitor Dr. Oberheim verweist zudem auf sein Standard-Lehrbuch, was man allerdings kaufen muss. Die Vorträge bauen aufeinander auf, teilweise wurden mehrstündige Einheiten per Videoschnitt getrennt, um nie mehr als zwei Stunden Video am Stück zu haben. Die meisten Videos wurden im Jahr 2013 gefilmt, in Einzelfällen wurden kleine Ausschnitte eingearbeitet, wenn sich die Rechtslage gravierend geändert hat.
Die Dozenten
Jedes Repetitorium ist so gut wie seine Dozenten, egal wie bekannt der Markenname ist. Ganz normal ist, dass Stil und Methodik jedes der vier Dozenten unterschiedlich sind. Für das Zivilprozessrecht zeichnet sich der Vors. RiOLG Dr. Rainer Oberheim verantwortlich. Zwangsvollstreckungsrecht macht Prof. Bernd Banke, Strafrecht Rechtsanwalt Wolfgang Bohnen und Öffentliches Recht Rechtsanwalt Christian Falla.
An Prof. Oberheim kommt niemand ran. Unseren Testern ist in der bisherigen juristischen Ausbildungslaufbahn noch keine Person untergekommen, die eine Rechtsmaterie derart verinnerlicht hat, dass er sie druckreif und didaktisch so ansprechend und ausgewogen reproduzieren kann. Bei der Materie des Zivilprozessrechts kann man sich in allen Details getrost auf die Vorträge von Dr. Oberheim verlassen. Sein Praxiswissen ist unendlich umfangreich, so dass er theoretisches Wissen mit zahlreichen Beispielen und Fällen anreichert und so gut merkbar macht.
Bernd Banke kommt nicht an die Qualität von Oberheim ran und nervt hin und wieder mit seinen Sprüchen. Dennoch vermittelt auch er die Materie sicher und solide. Auch sein Stil ist geprägt von einigen Praxisbeispielen, die stets von Vorteil sind. Als Experte für Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht ist er jedenfalls eine feste Größe im Lecturio-Rep für das zweite Staatsexamen.
Christian Falla ist als Rechtsanwalt ein Mann der Praxis und ebenfalls ein Sprücheklopfer, was wohl auflockern soll. Dennoch: Auch er kann mit vielen (selbst erlebten) Praxisbeispielen glänzen und dazu beitragen, dass insbesondere das Verwaltungsrecht greifbar wird.
Wolfgang Bohnen ist ein mit allen Wassern gewaschener Strafverteidiger wie er im Buche steht. Mit fast 30 Jahren Erfahrung als Repetitor vereint er Praxiswissen mit materiell-rechtlicher Expertise und kann didaktisch sehr ansprechend vermitteln. Man hört ihm gerne zu, da er viel erlebt hat und bei ihm Themen wie Haftprüfung und Beweisverwertungsverbote greifbar sind.
Die Selbstkontrolle mit Lernkontrollfragen
Viele hundert Fragen sollen das Erlernte aus den Videokursen abprüfen. Je nach Einstellung kann dies innerhalb eines Videos an den jeweiligen thematisch passenden Stellen oder en bloc am Ende des Videos sein. Die Quizfragen sind meistens in sich konsistent und nützlich. Entweder man muss eine oder mehrere genannte Antworten auswählen. Bei Falschantworten ist eine Wiederholung von einzelnen oder allen Fragen möglich. Etwas verwunderlich sind die vielen Rechtschreibfehler in den Frage- und Antworttexten. Auch auf der Smartphone-App laufen die Fragen prima.
Der Preis
Unterschiedlich. Lecturio lockt in sehr regelmäßigen Abständen (alle paar Wochen) mit 50%-Rabattaktionen, teilweise mit lebenslangem Zugriff auf die Kursinhalte. Es lohnt sich also, die Preise über einen Zeitraum von ein bis zwei Monaten zu beobachten.
Nachteile
Ganz klar, dass es ein abgefilmtes Offline-Repetitorium ist. Bild- und Tonqualität sind zwar sehr gut, jedoch nur solange der Dozent in sein Ansteckmikrofon spricht. Sobald (was leider immer wieder vorkommt) ein Kursteilnehmer eine Frage stellt und der Dozent sich im Zwiegespräch mit ihm befindet, kann man im Prinzip abschalten, weil man kaum etwas versteht. Hier müsste ein Techniker entweder 2-3 Saalmikrofone installieren und ggf. anschalten oder die Dozenten müssten die Fragen und Redebeiträge der Teilnehmer konsequent wiederholen (was aber auch nervig sein kann). Dieser Umstand ist auch das Hauptmanko am gesamten Angebot. Neu auf den Markt gekommene Anbieter, die mit Lecturio vergleichbar sind, bewerben gerade, dass sie speziell für den Online-Kunden zugeschnitten und eben nicht „nur abgefilmt“ sind. Dennoch überwiegen ganz klar die oben beschriebenen Vorteile. Die Lecturio-Videos sind eine gute Ergänzung für die Vorbereitung auf das zweite juristische Staatsexamen.
Gesamteindruck
Gut. Deutlich besser als in den durchschnittlichen Arbeitsgemeinschaften am Ausbildungsstandort, wo Richter als Dozenten oft keine gute Figur machen, keine Leidenschaft für Lehre haben und selbige wohl eher absitzen, weil man den Lehrdienst von Ihnen verlangt. Geld würde dafür wohl niemand bezahlen.
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